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Reisediarrhoe: Neue Konzepte zu Prophylaxe und Notfalltherapie

Zusammenfassung Reisedurchfall gehört neben Sonnenbrand und Mückenstichen zu den häufigsten Gesundheitsstörungen während eines Auslandsaufenthaltes. Weltweit stehen bakterielle Infektionen als Ursache akuter Durchfälle an erster Stelle, hier weit überwiegend durch enterotoxigene Escherichia coli (ETEC). Obwohl im Verlauf häufig selbstlimitierend, zeigen diagnostische und therapeutische Maßnahmen in der Mehrzahl der Fälle einen deutlichen Nutzen für den Verlauf. Diagnostik und Management sollten sich vor allem am klinischen Erscheinungsbild orientieren. Hier hat sich in der Praxis insbesondere der Einsatz von Racecadotril und Tanninalbuminat/Etacrinlactat bewährt. In der Prophylaxe stehen heute mehrere Maßnahmen mit nachgewiesener, jedoch begrenzter Effektivität zur Verfügung, die auch einander ergänzend eingesetzt werden können. Insbesondere die Impfung gegen Cholera bietet auch einen relevanten Schutz gegen die ETEC-Enteritis. Schlüsselwörter

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Einleitung
Durchfälle und andere gastrointestinale Beschwerden sind neben Sonnenbrand und Mückenstichen die häufigsten Gesundheitsstörungen während eines Auslandsaufenthaltes. Diarrhoe ist auch das häufigste Leitsymptom importierter Infektionskrankheiten bei Tropenrückkehrern. Hierbei handelt es sich meist um so genannte Reisediarrhoen mit unkompliziertem und selbstlimitierendem Verlauf. Meist beginnt die Symptomatik wenige Tage nach der Einreise in das Zielgebiet und wird durch das unterschiedliche gastrointestinale Keimspektrum verursacht. Die überwiegende Mehrzahl der Episoden ist selbstlimitierend und heilt im Mittel nach 3–4 Tagen ohne Komplikationen wieder ab [1]. Da Reisedurchfälle mit dem späteren Auftreten eines Reizdarmsyndroms assoziiert sind, ist jedoch auch bei kurzen Verläufen eine frühe symptomatische Therapie sinnvoll. Zudem kommt es während der akuten Krankheitsphase bei 40% der Reisenden zu zum Teil erheblichen Beeinträchtigungen der eigentlich geplanten Aktivitäten. Dies ist besonders relevant bei beruflichen Auslandsaufenthalten, da hier sehr schnell eigentliche Reisezweck gefährdet sein kann. Dies kann bei dem sehr knappen Zeitkonto vieler Geschäftsreisender zu erheblichen Beeinträchtigungen im Ergebnis der Reise führen. Insofern ist der beratende Arzt häufig gefordert, dem Reisenden Konzepte zum Akutmanagement und zur Vermeidung der Reisediarrhoe mitzugeben.

Epidemiologie
Das Auftreten von Durchfällen ist von einer Vielzahl Faktoren abhängig. Wesentlich sind die hygienischen Standards des Ziellandes bei der Nahrungsmittelzubereitung. Diese können erheblichen Veränderungen unterworfen sein. So hat zum Beispiel die Inzidenz der Reisediarrhoe bei Brasilienreisenden in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen, was am ehesten auf verbesserte Hygienestandards in den Hotels und Restaurants zurückzuführen ist. Reisende aus Industrienationen weisen eine weit höhere Rate von Durchfallepisoden auf als solche aus Entwicklungsländern [2]. Ein interessantes Detail bleibt die Beobachtung, dass Reisende aus Großbritannien weltweit signifikant mehr Durchfallepisoden entwickeln als andere Europäer oder als Nordamerikaner [3]. Die Gründe hierfür sind unklar.

Der Verdacht, dass Abenteuer- und Rucksackreisende einem höheren Durchfallrisiko ausgesetzt sind, drängt sich intuitiv auf. Allein die ständig wechselnden, oft hygienisch nicht einwandfreien Nahrungsmittelquellen scheinen einen weit höheren Erregerkontakt zu garantieren. Jedoch fehlen Daten die dies in vergleichenden Studien tatsächlich belegen. Studien an Destinationen von Pauschaltouristen haben an denselben Standorten eine sehr hohe Variabilität der Durchfallinzidenz demonstriert, die durch die erheblichen Unterschiede in den Hygienestandards einzelner Hotels bedingt war [3]. Hier können Kontrollmaßnahmen der Tourismusindustrie potentiell schnelle Abhilfe schaffen. Das Essen außerhalb des Hotels scheint bei Pauschalurlaubern keinen wesentlichen Einfluss auf die Durchfallhäufigkeit zu haben [3].

Eine besondere Rolle spielen Ausbrüche von Durchfallerkrankungen auf Kreuzfahrtschiffen, die erheblichen Umfang annehmen können. Vor allem bei Beteiligung von Noro- oder Rotaviren als verursachende Pathogene kann es hier aufgrund der besonderen Platzverhältnisse auch zur aerogenen Übertragung kommen.

Neben Reiseart und –ziel spielt auch die Reisesaison bei tropischen Destinationen eine erhebliche Rolle. In vielen Ländern treten während der Monsunzeit zusätzliche Hygieneprobleme durch überlastete Abwassersysteme auf. In Bezug auf Wirtsfaktoren wurde wiederholt demonstriert, dass alle Faktoren die zur Erniedrigung des Magen-pH führen, wie z. B. Gastrektomie, langdauernde Säureblockade mit Protonenpumpenhemmern (PPI) oder gastrointestinale Motilitätsstörungen eine Erhöhung der Durchfallinzidenz zur Folge haben. Die Inzidenz der Reisediarrhoe nimmt mit höherem Lebensalter ab [1,3]. Dies mag mit einer erworbenen Immunität oder mit risikobehafteteren Essgewohnheiten bei jungen Reisenden zusammenhängen.

Ätiologie
Ursächlich liegt am häufigsten eine Infektion mit enterotoxinbildenden Eschericha coli (ETEC) zu Grunde (Tabelle 1). Daneben kommen jedoch eine Vielzahl anderer Erreger in Frage. Schwerere Verläufe mit behandlungsbedürftigen Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten und/oder Ruhr wurden in verschiedenen Studien in 3–15% beobachtet [4]. Bei Erkrankungsbeginn bereits während des Auslandsaufenthalts oder innerhalb weniger Tage nach Rückkehr liegt in der Mehrzahl der Fälle eine bakterielle Ätiologie vor.

Viral bedingte Enteritiden haben ebenfalls eine kurze Inkubationszeit. Bei Erkrankungen, die sich später als 8–10 Tage nach Rückkehr manifestieren sowie bei anhaltenden oder rezidivierenden Durchfällen ist vor allem an parasitäre Infektionen zu denken, die sich auch erst nach längerem Intervall klinisch bemerkbar machen können. Durchfallfrequenz, Stuhlbeschaffenheit sowie zusätzliche Symptome und Befunde geben wichtige Hinweise auf die Ätiologie, erlauben jedoch keine spezifische Diagnose (Tabelle 2). Stets muss daran gedacht werden, dass Durchfälle und andere gastrointestinale Beschwerden auch im Rahmen systemischer Infektionen auftreten können. So berichten bis zu 20% der Patienten mit Malaria tropica über Durchfälle und andere gastrointestinale Symptome wie Erbrechen und abdominelle Schmerzen [5]. Bei Fieber und Durchfällen nach Aufenthalt in Malariagebieten ist daher immer eine Malaria durch Blutuntersuchungen auszuschließen. Vor allem bei Durchfällen mit chronischem oder chronisch rezidivierendem Verlauf kommt differentialdiagnostisch zusätzlich eine große Zahl nichtinfektiöser Erkrankungen in Frage, einschließlich chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Hier ist zu berücksichtigen, dass Durchfallerkrankungen während oder nach einer Auslandsreise nicht immer in einem kausalen Zusammenhang zu dieser stehen müssen. Als pathogene Erreger kommen bei chronischen Durchfällen insbesondere auch Parasiten in Frage. Hier sind insbesondere Giardia lamblia, Entamoeba histolytica zu nennen, seltener sind auch Infektionen durch Cyclospora cayetanensis oder Kryptosporidien nachweisbar [6].

Diagnostik
Diagnostische Maßnahmen richten sich nach Schweregrad der Erkrankung, Lebensalter des Patienten, vorliegenden Grunderkrankungen und ggf. isolierten Erregern. Bei der unkomplizierten Reisediarrhoe des Erwachsenen ohne Grunderkrankungen ist in vielen Fällen eine unspezifische symptomatische Therapie ohne gezielte Diagnostik ausreichend. Das Erzwingen einer ätiologischen Abklärung ist hier weder nutzen- noch kosteneffektiv und während der Reise oft auch nicht möglich. Untersuchungen sollten durchgeführt werden, wenn ihr Ergebnis wesentlich das klinische Management beeinflussen kann, wie z. B. bei immunsupprimierten Patienten.

Die Suche nach Leukozyten bzw. Laktoferrin im Stuhl ist eine nützliche Untersuchung, da ein Positivbefund auf eine entzündliche Diarrhoe hinweist. Bei Patienten mit positivem Leukozytennachweis im Stuhl sind die häufigsten Erreger Salmonella, Shigella, Camplylobacter, C. difficile, Yersinia, enterohämorrhagische und enteroinvasive E. coli (EHEC und EIEC). Ist der Test negativ, mag eine Stuhlkultur nicht unbedingt notwendig sein: In mehreren Studien wurde demonstriert, dass der Anteil der Positivbefunde aus Stuhlkulturen bei Patienten mit akuter, unkomplizierter Diarrhoe in der Routinediagnostik lediglich um 2% liegt [7–9]. Warnhinweise, die auf einen komplizierten Verlauf hinweisen, sind profuse Diarrhoe und/oder massives Erbrechen, Blutbeimengungen im Stuhl oder blutig-schleimige Durchfälle (Ruhr), hohes und/oder anhaltendes Fieber oder ausgeprägte Allgemeinsymptome. Hier ist eine gezielte Diagnostik und ggf. auch eine initiale Chemotherapie erforderlich.

Therapie: Maßnahmen zur Akutintervention
Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen beim unkomplizierten Reisedurchfall sind symptomatisch. Hier stehen vor allem die schnelle Symptomlinderung sowie ein Flüssigkeits- und Elektrolytersatz im Vordergrund. Oft erfolgt die Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten durch orale Rehydratationslösungen, die Glukose und Elektrolyte enthalten. Durch diese Maßnahme wird die Durchfalldauer jedoch nicht beeinflusst. Bei ansonsten gesunden Patienten ohne wesentliche Zeichen einer Dehydratation kann eine adäquate Flüssigkeits- und Elektrolytbalance ohne weiteres mit Wasser oder Suppen erreicht werden. Bei Patienten mit drohender Dehydratation bzw. zugrundeliegenden Begleiterkrankungen sind jedoch aggressivere Methoden notwendig. In solchen Fällen ist eine gezielte orale oder intravenöse Rehydratation indiziert. Hierbei ist die orale Therapie mit Rehydratationslösungen (ORS) bei wesentlich geringerem Aufwand und Preis häufig ebenso effektiv wie intravenöse Maßnahmen. ORS fördert die Resorption von Natrium und Wasser im Dünndarm über die Aktivierung des Glucose-Natrium Cotransporters, dessen Funktion auf der gleichzeitigen Anwesenheit von Natrium und Glucose im Darm beruht. Dieser Mechanismus wird in aller Regel nicht durch Entzündungen oder Toxine außer Kraft gesetzt. Auf dem Markt sind neben der WHO-Formulierung zahlreiche weitere ORS-Lösungen erhältlich, die jedoch nicht genau der von der WHO empfohlenen Zusammensetzung entsprechen. Hierunter sind auch für pädiatrische Patienten konzipierte Produkte.

Diätetische Maßnahmen sind ein weiterer relevanter Aspekt beim Management der akuten Diarrhoe. Milchprodukte sollten weitgehend vermieden werden, da vor allem virale und bakterielle Infektionen einen passageren Laktasemangel hervorrufen, der über die unverdaute Laktose zu weiteren Durchfällen, Blähungen und voluminösen, schaumigen Stühlen führen kann. Ebenso sollten Koffein und Alkohol vermieden werden, die beide Frequenz und Volumen des Stuhlganges erhöhen. Nulldiät ist unnötig und sollte nicht empfohlen werden. Stattdessen sollten die Patienten zur Aufnahme kurzkettiger Kohlenhydrate ermuntert werden, wie z. B. Kartoffeln, Nudeln, Reis, Bananen oder Suppen.

Für Adsorbentien wie Kaolin, Pektin oder medizinische Kohle liegen keine überzeugenden klinischen Studien vor.

Einen rationalen Ansatz zur Reduktion des Flüssigkeitsverlustes bietet der Enkephalinasehemmer Racecadotril [10]. Racecadotril ist ein ,,pro-drug‘‘, das zu dem aktiven Metaboliten Thiorphan hydrolisiert wird. Dieser ist ein Inhibitor der Enkephalinase, die insbesondere im Dünndarmepithel lokalisiert ist. Dieses Enzym trägt unter anderem zum Abbau endogener Peptide wie den Enkephalinen bei [11]. Bei Durchfall ist der enzymatische Abbau von Enkephalinen deutlich verstärkt, was als direkten Effekt einen vermehrten Flüssigkeitseinstrom in das Darmlumen zur Folge hat. Racecadotril schützt die über Delta-Opioidrezeptoren antisekretorisch wirksamen Enkephaline vor diesem Abbau. Hierdurch wird ihre Wirkung an den enkephalinergen Synapsen im Dünndarm verlängert und damit schnell die pathologische Hypersekretion verringert. Hier kann somit bereits im Darm der Flüssigkeitsverlust verringert werden, was eine Substitutionstherapie deutlich erleichtert. Racecadotril unterstützt mit seinem Wirkprinzip somit auf ideale Art und Weise die Rehydratation. Die Motiltät des Darmes wird nicht beeinflusst, die Durchfalldauer wird zudem signifikant verkürzt, die Stuhlfrequenz und das Stuhlgewicht deutlich reduziert. Eine Motilitätshemmung wird nicht beobachtet, weshalb sekundäre Verstopfung nicht als Nebenwirkung beschrieben ist und eine Ausscheidung von Pathogenen nicht verhindert wird. Gegenüber der Einnahme von Probiotika (Saccharomyces boulardii) zeigt sich eine bessere und schnellere Wirksamkeit bei akuter Diarrhoe.

Schnell symptomatisch wirksam sind Peristaltikhemmer. Hier ist Loperamid der bekannteste Wirkstoff. Dieses Medikament sollte jedoch von Laien nicht unkontrolliert und vor allem nicht zu lange eingesetzt werden, da es sonst zu Komplikationen bis hin zum toxischen Megakolon kommen kann. Bei Infektionen durch invasive Erreger mit Blutabgang oder Fieber ist die Substanz kontraindiziert, da die Lähmung der Darmmotilität im Kolon zu einer längeren Verweildauer der Erreger im Intestinaltrakt führt. In Vergleichstudien konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von Racecadotril im Vergleich zu Loperamid bei akuter Diarrhoe im Erwachsenenalter und auch im Kindesalter effektiver, nebenwirkungsärmer und wirtschaftlich günstiger war [12–13]. Auch durchfallbedingte Bauchschmerzen und –krämpfe werden schneller gelindert als unter Lopermid und auch hinsichtlich des Wechselwirkungspotentials mit anderen Substanzen zeigt Racecadotril Vorteile. Bisher wurden keine Wechselwirkungen von Racecadotril mit anderen Substanzen beobachtet, wohingegen Loperamid ein hohes Wechselwirkungspotential mit Cytochrom P 450– und P-Glykoprotein-Induktoren und -Inhibitoren zeigt.

Eine weitere interessante Möglichkeit bei der symptomatischen Therapie der Reisediarrhoe bietet die Kombination Tanninalbuminat und Ethacrinlactat. Hierbei weist Tanninalbuminat adstringierende, schleimhautschützende und dadurch sekretionshemmende Eigenschaften auf, während Ethacrinlactat durch spasmolytische Eigenschaften die Darmpassage verlangsamt und die Rückresorption von Wasser fördert und antibakteriell auf ein bestimmtes Keimspektrum wirkt.

Probatorische antibiotische Therapie zeigt bei der akuten, unkomplizierten Diarrhoe gegenüber Placebo eine etwas beschleunigte Restitution [7]. Hierbei wird insbesondere der Einsatz des nicht-resorbierbaren Antibiotikums Rifaximin diskutiert, das explizit für diese Indikation zugelassen ist. Leider liegen keine Vergleichsstudien mit rein symptomatischen Therapeutika wie z. B. Racecadotril oder Tanninalbuminat/Ethacrinlaktat vor. Bei z. B. eines insgesamt schlechten Gesundheitszustandes kann die Gabe von Rifaximin in Erwägung gezogen werden [14]. Es ist jedoch nicht gezeigt worden, dass Rifaximin schneller als Racecadotril oder Tanninalbuminat wirkt.

Offensichtlich gibt es unstrittige Indikationen zur antibiotischen Therapie bei komplizierter Reisediarrhoe (Tabelle 3). Hierbei sind auch lokale Resistenzmuster zu berücksichtigen. So sind z. B. in Asien und Ostafrika erworbene Shigellen häufig resistent gegen Aminopenizilline, Cotrimoxazol, aber auch gegen Ciprofloxazin. Speziell auch bei der komplizierten Reisediarrhoe gibt es Patienten, die eindeutig von einer antibiotischen Therapie profitieren. Hier ist bei der probatorischen Therapie eine Behandlung mit Azithromycin über 3 Tage anzuraten. Im Falle einer Infektion mit C. difficile sind Metronidazol oder Vancomycin die Mittel der Wahl. Bei rezidivierenden Infektionen liegen sehr ermutigende Ergebnisse mit Probiotika vor, insbesondere mit Saccharomyces und Lactobacillus, die im Anschluss an eine antibiotische Therapie gegeben werden. Dies scheint die Wiederansiedlung der intestinalen Mikroflora zu fördern und somit eine erneute Ausbreitung von C. difficile zu verhindern.

Prophylaxe
„Koche es, schäle es oder vergiss es“. Dies ist das Mantra jeder reisemedizinischen Beratung zur Prophylaxe der Reisediarrhoe. Auch wenn der prinzipielle Sinn dieser Maßnahme unbestritten ist, zeigen sich in der Praxis sehr schnell erhebliche Einschränkungen in ihrer effektiven Umsetzung. Zum einen zählt das Erleben der lokalen Küche für viele Reisende zum kulturellen Genuss einer Reise dazu. Zum anderen sind strikte Diätmaßnahmen oft nicht durchzuhalten. Dies führt zu erheblichen Complianceproblemen bei dieser Empfehlung. Weiterhin ist in mehreren Studien gezeigt worden, dass zumindest bei Pauschaltouristen das Essverhalten keinen wesentlichen Einfluss auf die Inzidenz der Diarrhoe hat [1,3,8,9]. Somit sind gegebenenfalls weitere prophylaktische Maßnahmen zu erwägen. Hier werden verschiedene Konzepte empfohlen, die durchaus auch ergänzend eingesetzt werden können.

Aktuelle Studien zeigen eine hohe Effektivität von Rifaximin in der Prophylaxe der Reisediarrhoe [14]. Im Vergleich zu dem bisher zur Chemoprophylaxe empfohlenen Ciprofloxacin scheint eine etwas geringere Effektivität gegen invasive Enterobakterien zu bestehen, jedoch ist bedingt durch die fehlende Resorption auch das Nebenwirkungsspektrum deutlich geringer. Dennoch sollte diese Strategie nur im Ausnahmefall angewendet werden, das Präparat ist für diese Indikation in Deutschland auch nicht zugelassen. Bedenken betreffen vor allem potentielle Nebenwirkungen, die Beeinflussung der Darmflora und Entwicklung von Resistenzen.

Probiotika werden seit langem in der Prophylaxe der Reisediarrhoe diskutiert. Sie sollen das Darmmilieu im Sinne eines Infektionsschutzes verändern und die Ansiedlung pathogener Keime erschweren. Studien mit Saccharomyces zur Prophylaxe zeigen eine Effektivität von 11% bei der Reduktion der Reisediarrhoe [15]. Wird die regelmäßige Einnahme vom Reisenden akzeptiert, kann hier immerhin ein messbarer, wenn auch nicht großer Schutz erreicht werden.

Einen besonderen Stellenwert hat der vor einigen Jahren in Deutschland zugelassene, aktive, orale Totimpfstoff gegen Cholera, da hiermit gleichzeitig ein Schutz gegen das hitzelabile Toxin von ETEC erreicht werden kann. Bei weitestgehendem Fehlen von Nebenwirkungen liegt der Schutz gegen Cholera bei 85%, der gegen ETEC-Diarrhoe bei ca. 70% [16]. Da der Impfstoff schon seit Dekaden in Skandinavien zugelassen ist, liegen ausreichende Erfahrungen zur Reaktogenität und protektiven Effektivität vor. Aufgrund der hohen Erregervariabilität beim Syndrom Reisedurchfall ist die Effektivität der Impfung etwas eingeschränkt, in kleineren Studien lag sie zwischen 42 und 57% [17]. In Anbetracht der hohen Inzidenz des Reisedurchfalls ist auch diese Schutzrate mit einer sehr hohen Zahl an verhinderten Krankheitsepisoden verbunden. Die regelmäßige Einnahme der Kombination von Tanninalbuminat und Ethacrinlactat scheint einen vergleichsweise hohen Schutz gegen Reisediarrhoe zu bieten, der in vergleichenden Untersuchungen bis zu 38% betrug. Wesentliche Nebenwirkungen sind nicht beschrieben. Somit ist die prophylaktische Einnahme von Tanninalbuminat und Ethacrinlactat derzeit die Maßnahme mit dem größten messbaren Effekt gegen Reisediarrhoe, auch wenn er nur einen Anteil der Patienten abdeckt. Prophylaktische Maßnahmen gegen Reisedurchfall sind vor allem notwendig bei besonders Exponierten (Beschäftigte im Gesundheitswesen, in der Katastrophenhilfe, in Flüchtlingscamps, bei Projekten von Hilfsorganisationen), bei Reisenden, für deren Tätigkeit Diarrhoe inakzeptabel ist (Geschäftsleute, Militär, Politiker, etc.) und bei Personen, die durch Diarrhoe besonders gefährdet sind (chronisch Kranke, kleine Kinder, Alte, etc.). Die Prophylaxemaßnahmen können bei entsprechendem Bedarf auch kombiniert angewendet werden (z. B. orale Impfung und Einnahme von Tanninalbuminat/Ethacrinlactat). Ein allgemeingültiges Patentrezept zur Prophylaxe der Reisediarrhoe existiert jedoch nicht.

Literatur

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