Sonstiges

Betriebliches Gesundheitsmanagement bei Roche Diagnostics

Zusammenfassung
Der folgenden Beitrag stellt die Entstehung eines Projekts zur betrieblichen Gesundheitsförderung mit dem Thema „Herz-Kreislauf-Prävention“ in einem Großunternehmen dar. Die Entwicklung wird als Bottom-Up und Top-Down
Managementprozess veranschaulicht. Wichtige Strukturen der betrieblichen Gesundheitsförderung werden herausgearbeitet.

Schlüsselwörter: Strukturen betrieblicher Gesundheitsförderung – Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung – Herz-Kreislauf-Prävention

Summary
The following article describes the origin and the development of a health promotion project titled “prevention of cardiovascular diseases“ in a big enterprise. The development is presented as a bottom-up and top-down management-process. Important structures of an occupational health promotion process are explained.
Keywords: occupational health promotion – benefit of occupational health management – prevention of coronary heart diseases

I. Einleitung
I. 1 Vorstellung des Unternehmensstandorts
Roche Penzberg ist eines der größten Biotechnologie-Zentren Europas. Am Standort vertreten sind mit Diagnostics und Pharma beide Divisionen des Roche Konzerns. Die etwa 3600 Beschäftigten in Penzberg sind in der Forschung, Entwicklung und Produktion von Reagenzien und Enzymen sowie Gerätesystemen für die Diagnostik und biopharmazeutischen Arzneimitteln tätig.
Der Werkärztliche Dienst umfasst 1,7 Arztstellen und 5 AssistentInnen, insgesamt 5 Vollzeitstellen entsprechend. Im arbeitsmedizinischen Alltag standen im Jahr 2003 zahlenmäßig unter den über 3000 durchgeführten Vorsorge-Untersuchungen vor allem Untersuchungen nach G37 (Bildschirmarbeit), G42 (BioStoffV) und G24 (Tätigkeiten mit Hautbelastung) im Vordergrund. In der Werkärztlichen Ambulanz fanden 2003 zusätzlich rund 3000 Kontakte zu verschiedensten Diagnosebereichen statt. Hier avancierten die außerberuflichen Verletzungen an die erste Stelle vor Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Haut und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

I. 2 Idee und Hintergrund
In den letzten 10 Jahren hat der betriebliche Arbeitsschutz sehr große Fortschritte gemacht. Technische und organisatorische Prozessverbesserungen und Schutzmaßnahmen haben die Gefährdungen für Mitarbeitende deutlich reduziert. Das spiegelt sich in den Statistiken der G-Vorsorgeuntersuchungen wider, die nur zu einem sehr geringen Teil (< 1%) nicht zum Ergebnis „keine gesundheitlichen Bedenken“ kommen. In den jährlichen Auswertungen innerbetrieblicher Ambulanzkontakte wurde zunehmend deutlich, dass – wie oben bereits genannt –gesundheitliche Probleme der ArbeitnehmerInnen in eine mehr allgemeinmedizinische Richtung weisen, Themen, die in Vorsorgeuntersuchungen nur am Rande angesprochen werden. Auch das Thema Stress gehört in diesen Themenkomplex. Bisher waren Betriebsärzte darin vor allem beratend tätig und agierten weniger aktiv präventiv. Diese Beobachtungen führten dazu, dass wir im Jahr vor der Aufnahme des Projekts drei Gesundheitstage für die Mitarbeitenden zum Thema „Stress – Ursachen erkennen, Folgen bewältigen“ planten und durchführten. Von rund 2800 Mitarbeitenden des Standortes nahmen daran rund 550 Beschäftigte teil. Die Gesundheitstage wurden ausschließlich vom Werkärztlichen Dienst geplant und organisiert. Führungskräfte standen dem tolerant gegenüber, ohne sich dabei allerdings fördernd einzubringen. Wir beobachteten, dass viele der wirklich vom Thema betroffenen Mitarbeitenden nicht teilgenommen hatten und dass wir insgesamt vor allem Mitarbeitende erreicht hatten, für die der Umgang mit Stress eher unproblematisch war. II. Projektauftrag Diese Entwicklungen in ihrer Gesamtheit ließen uns umdenken. Wir nahmen an, dass allgemein die Teilnehmerzahl an gesundheitsförderlichen Aktionen umso größer wäre, je mehr Unterstützung auch aus der Führungsebene dafür kommen würde. Führungskräfte könnten als Multiplikatoren wirken. Mit ihrer Hilfe würde Kommunikation effizienter funktionieren. Wir stellten uns vor, dass mit ihrer Hilfe auch mehr betroffene Mitarbeiter angesprochen und integriert werden könnten. Zunächst galt es, mit der Führungsebene eine Vereinbarung zu treffen und uns den Auftrag zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu holen. „Wie könnten Unternehmer von dieser Idee zu überzeugen sein?“ war die wichtigste Frage die wir uns dabei stellten. Geraume Zeit suchten wir nach geeigneten Evaluationen in der Literatur. Erst nach Erscheinen einer Metaanalyse aus ca. 400 Projekten zur betrieblichen Gesundheitsförderung aus Europa und den USA1 konnten wir zu den für das Unternehmen essentiellen Fragen „Was bringt betriebliche Gesundheitsförderung?“ (Abb. 1) oder „Wie sieht der Return of Investment (Rendite auf eingesetztes Kapital) aus?“(Abb. 2) Stellung nehmen, und es gelang, die Werkleitung von der Idee zu überzeugen. Sie nahm nicht nur die betriebliche Gesundheitsförderung als eine der wichtigsten Zielvereinbarungen für Führungskräfte auf, sondern formulierte sie auch als Ziel für ihr eigenes Management. Auch die Geschäftsführung der Roche Diagnostics GmbH konnte von den Vorteilen einer betrieblichen Gesundheitsförderung im Unternehmen überzeugt werden.

III. Kooperation
Zeitlich parallel zu den Gesprächen mit der Geschäftsführung holten wir uns für die Umsetzung der Idee Unterstützung durch externe Gesundheitsexperten. Wir fanden sie zur Projektreflexion im Rahmen des „Projektbegleitenden Lehrgangs Betriebliches Gesundheitsmanagement“ an der Berliner Akademie für Arbeitsmedizin und beim Team für Betriebliches Gesundheitsmanagement der Techniker Krankenkasse. Sie war als Krankenversicherung im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags nach § 20 SGB V in der Lage, uns bei der Projektplanung und auch in der Umsetzung der Aktionen zu unterstützen. Mit ihr war bereits seit Ende 2002 im Rahmen eines Programms zur „arbeitsplatzspezifischen Rückenschule“ am Standort eine gute Zusammenarbeit entstanden. In einem Bereich mit ca. 500 Mitarbeitenden hatten wir erstmals die neuen Strukturen der betrieblichen Gesundheitsförderung in Form eines Top-Down Managements (ein von der obersten Führungsebene angestoßener Managementprozess) erproben können: Informationen waren über regelmäßige Mitarbeiterversammlungen verbreitet worden, Führungskräfte waren als Multiplikatoren und Promotoren eingeschlossen.

IV. Zielidentifikation
Offen blieb immer noch die Frage nach der Grundidee für das Projekt. Für Themen, wie Herz-Kreislauf-Prävention gab es bereits gute Evaluationen, die zeigen konnten, dass betriebliche Gesundheitsförderung signifikante Ergebnisse bringt. Für andere, wie z. B. dem Thema „Stress“, waren noch keine stichhaltigen praktischen Beispiele zu finden. Um die Idee voran zu bringen, bot sich der Einstieg in Form der Herz-Kreislauf-Prävention an, zudem war aus einer Auswertung der Ambulanzstatistik in einem Produktionsbereich (ca. 530 Beschäftigte) ein auffällig hoher Anteil an Kontakten im Diagnosebereich „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ aufgefallen. Eine weitergehende Analyse, die vom Bereichsleiter angestoßen wurde, führte hier zum ersten Einstieg in das Thema. Instrumente des Gesundheitsmanagementprozesses kamen, wie in Abb. 3 veranschaulicht, zur Anwendung. Auch wurden neue Organisationsprinzipien angewendet: Ein erster Arbeitskreis Gesundheit wurde eingerichtet, an dem außer dem Werkärztlichen Dienst und den externen Experten auch Betriebsrat, Personalvertreter, Sicherheitsbeauftragte, Sicherheitsfachkräfte, Betriebsleiter, Kommunikationsexperten und Multiplikatoren des Bereichs teilnahmen. Seit März 2003 wurde hier die Projektstruktur entwickelt, der Zeitrahmen und die Ziele abgesteckt, Einzelaktionen geplant und Budgetvereinbarungen geschlossen.
Nach Expertenmeinung sind Fehlernährung, Rauchen und körperliche Inaktivität als Hauptursachen für die hohe Prävalenz der kardiovaskulären Erkrankungen in unserer Gesellschaft identifiziert2. Die Minimierung dieser Risikofaktoren ist dazu geeignet, die Gesamtmortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken und die Gesundheit signifikant, nachhaltig und kostengünstig zu beeinflussen. Der Projektplan enthält deshalb die drei Themenschwerpunkte „körperliche Aktivität“, „Raucherentwöhnung“ und „gesunde Ernährung – Gewichtsreduktion“.
Die Projektziele sind in Abb. 4 dargestellt: Niedrigschwellige Angebote sollen den Mitarbeitenden den Einstieg so einfach wie möglich machen. Die Betonung in den Kursen liegt auf dem Einsteigerniveau. Basisgedanken sind die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Integration von Faktoren der Nachhaltigkeit, um einen kontinuierlichen Prozess des Gesundheitsmanagements daraus zu generieren.

V. Projektstruktur
Das Projekt soll im jeweiligen Bereich wie in Abb. 5 dargestellt, über zwei Jahre laufen, die erste Evaluation nach einem Jahr, die zweite Evaluation nach zwei Jahren stattfinden. Die Themenbereiche Bewegung, Raucherentwöhnung und gesunde Ernährung – Gewichtsreduktion wechseln nach jeweils vier Monaten, sodass kontinuierlich weitere Organisationseinheiten des Unternehmens integriert und immer mehr Mitarbeitende eingeschlossen werden können. Die Projektarchitektur sieht einen Rahmen vor, der als Basisangebot dienen soll. Jeder Bereich kann darüber hinaus individuelle Vereinbarungen treffen.
Die Kosten für die Aktionen werden von den einzelnen Bereichen getragen, die externen Gesundheitsexperten werden von der Techniker Krankenkasse gestellt. Die erste Evaluation im Rahmen einer Diplomarbeit im Fach Betriebswirtschaftslehre erfolgt aus dem Budget des Werkärztlichen Dienstes.
In jedem teilnehmenden Bereich werden nach Absprache Multiplikatoren geschult. Multiplikatoren sind Mitarbeitende, die auf der Basis der Freiwilligkeit an der Projektgestaltung und Ausführung teilnehmen. Ihre Rolle ist in Abb. 6 dargestellt. Sie werden im Rahmen eines viertägigen Gesundheitsseminars in die Themenbereiche eingeführt, absolvieren mehrere Trainingseinheiten und erhalten einen praktischen Einblick. So erleben sie mit Spaß an der Sache Gesundheitsförderung und Motivation quasi am eigenen Leibe. Sie treffen sich im Projektverlauf je nach Bedarf zum Informations- und Erfahrungsaustausch mit den Gesundheitsexperten. In den beiden bisherigen Treffen stand unter anderem das Thema „Motivation von Mitarbeitern zur Teilnahme an Aktionen der betrieblichen Gesundheitsförderung“ besonders im Mittelpunkt.

VI. Interventionen
VI. 1 Bewegung – Körperliche Aktivität
Als Startschuss der Aktionen im Juni 2004 fand im Rahmen einer Bereichsversammlung ein Thementag statt. Vorträge zu den Zusammenhängen zwischen koronarer Herzerkrankung und körperlicher Aktivität gingen der Vorstellung der Kurse für Nordic-Walking und einer Posterpräsentation der Betriebssportgruppen voran. Als Wanderausstellung „Betriebssport“ wurden die Poster anschließend in den einzelnen Abteilungen positioniert.
Im September 2004 wurde ein werkeigener Fitnessraum in Betrieb genommen. In einigen Abteilungen fanden von externen Trainern geleitete Bewegungselemente während der Arbeit statt. So wurden z. B. Bereichsversammlungen durch gymnastische Übungen aufgelockert und in Abteilungen zehnminütige Bewegungspausen organisiert. Auch wird ein per Outlook gesteuertes Programm mit Gymnastikübungen an Bildschirmarbeitsplätzen (Fit am PC) kontinuierlich angeboten, von dem sich jeder teilnehmende Mitarbeitende nach Wunsch täglich per E-Mail an seine Übungen erinnern lassen kann.

VI. 2 Raucherentwöhnung
Der Auftakt hat in Form einer Informationsveranstaltung Anfang Oktober 2004 stattgefunden. Den Mitarbeitenden sind zwei Modelle der Raucherentwöhnung angeboten worden. Ein Gruppeninterventionskurs über vier Nachmittage, der vom Team der WAREG (Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raucherentwöhnung und Gewichtsreduktion, Berlin) durchgeführt wurde und die Rauchersprechstunde nach dem Modell des Deutschen Krebsforschungszentrums, die kontinuierlich vom Werkärztlichen Dienst geleistet wird.

VI. 3 Gesunde Ernährung – Gewichtsreduktion
Die Auftaktveranstaltungen in zwei Betrieben mit jeweils etwas mehr als 500 Beschäftigten fanden Anfang Dezember 2004 wiederum im Rahmen der jeweiligen Bereichsversammlungen statt. Vorgestellt wurden nach einem Vortrag zum Thema Übergewicht Aktionen einer Ökotrophologin, die eine beratende Rolle zur Optimierung der Kantinenverpflegung hat, indem sie die Speisepläne analysiert und nach den Empfehlungen der DGE optimiert. Anfang 2005 bietet sie individuelle Kurse zu Gewichtsreduktion und gesunder Ernährung an. Bei Besprechungen werden im Kontrast zur bisherigen „Plätzchenkultur“ vermehrt Obstteller angeboten.

VII. Bewertung
Nach zehnmonatiger Projektdauer gelang es, auch sportlich inaktive Menschen anzusprechen. Das niedrige Einsteigerniveau wurde von vielen Beschäftigten begrüßt und in Anspruch genommen. Die Teilnahmequote bei Männern lag allerdings bisher noch deutlich niedriger als bei Frauen.
Das Projekt hat einen hohen Bekanntheitsgrad. Weitere Bereiche des Unternehmens erklärten ihr Interesse an der Teilnahme. Auch Abteilungen, die lange zögerten, steigen jetzt in Aktionen ein. Anfang Januar 2005 werden rund 1700 Beschäftigte angesprochen sein. Damit bedarf es einer deutlichen Ausweitung des Kursangebotes in allen Themenbereichen. Im organisatorischen Bereich hat eine zweite Beraterin der Techniker Krankenkasse bereits ihre Arbeit aufgenommen. Die mit der Evaluation beauftragte Diplomandin bringt ebenso ihre Leistungen in die Projektorganisation ein.
Der Arbeitskreis Gesundheit hat sich als wertvolles Koordinationsinstrument für Planung, Ausführung und Feed-back aus den Bereichen erwiesen. Statt eines Arbeitskreises Gesundheit sind in zwei Bereichen die bestehenden Führungsgremien unter Ergänzung eines Vertreters der Personalabteilung als Steuerkreise eingesetzt worden.
Die Multiplikatoren haben bereits mehrere Initiativen in ihren Abteilungen umgesetzt und melden von dort Interesse an weiteren Aktionen.
Der Werkärztliche Dienst wird weitere externe Ressourcen für die betriebliche Gesundheitsförderung mobilisieren. Daneben müssen natürlich unverändert die gesetzlichen Vorschriften in der Arbeitsmedizin erfüllt werden. Die Zukunft wird eine Verschiebung des Tätigkeitsspektrums des Werkärztlichen Dienstes bringen. Die Betonung wird weniger auf der Prävention von Berufskrankheiten und der Untersuchungsmedizin liegen, als vielmehr auf dem Gesundheitsmanagement.
Die Techniker Krankenkasse hat sich als ein wichtiger Partner mit tragender Funktion im Projekt etabliert. Andere gesetzliche Krankenversicherungen unterstützen die Kursangebote durch Rückerstattung von Kursgebühren an die Mitarbeitenden.
Die Idee der betrieblichen Gesundheitsförderung durchdringt immer mehr Hierarchieebenen des Unternehmens. Ziel ist die klare Verankerung der Idee in den Konzerngrundsätzen.

VIII. Literatur

1 Kreis J, Bödeker W. IGA-Report 3. Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. Zusammenstellung und wissenschaftliche Evidenz. BKK Bundesverband und Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 2003.

2 Windler E, Zyriax B-Chr, Beil FU, Greten H. Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Stiefkind der Inneren Medizin. Internist 2004; Band 45, Heft 2, S. 173 – 181.
Weitere Literatur ist auf Anfrage beim Verfasser erhältlich.

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Susanne Wagner
Roche Diagnostics GmbH
Nonnenwald 2
82377 Penzberg

Dr. med. H.-J. Richter
Leiter Werkärztlicher Dienst
Roche Diagnostics GmbH
Nonnenwald 2
82377 Penzberg

S. Wagner, H.-J. Richter

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