Sonstiges

Leitlinie zur Tuberkulin-Testung bei Beschäftigten der Charité

Allgemeine Vorbemerkungen
Klassifikation der Tuberkulose:
Es wird an dieser Stelle auf die von der American Thoracic Society (ATS) herausgegebene Einteilung der Tuberkulose (TB) hingewiesen1, die hier in einer Kurzfassung wiedergegeben wird:
Klasse 0: keine TB-Exposition, nicht infiziert
Klasse 1: TB-Exposition, kein Nachweis einer Infektion
Klasse 2: latente tuberkulöse Infektion (LTBI), keine Krankheit
Klasse 3: TB, klinisch aktiv
Klasse 4: TB (postprimär), klinisch inaktiv (mit oder ohne vorheriger Behandlung)
Klasse 5: TB-Verdacht, Diagnose (-bestätigung) steht noch aus
Die klinisch aktive TB (Klasse 3) sollte durch die Anamnese, die körperliche Untersuchung, die meistens gleichzeitig veränderten Laborparameter (BSG, CRP etc.), sowie durch die Röntgendiagnostik, die kulturelle Anzucht der Erreger (ggf. aus Material, das in einer Bronchoskopie gewonnen wurde) und evtl. durch moderne DNA-basierte Tests erkannt, und die Betroffenen zur weiteren Behandlung an die spezialisierten Einrichtungen überwiesen werden. Der Tuberkulin-Hauttest kann helfen, die Verdachtsdiagnose zu untermauern. Auf die klinisch aktive TB soll in dieser Leitlinie nicht näher eingegangen werden.
Das besondere, hier relevante Problem stellen die Personen mit latenter tuberkulöser Infektion (Klasse 2, LTBI) und mit einer (unerkannt) stattgehabten, klinisch nicht aktiven TB (Klasse 4) dar. Personen der Klasse 4, die noch nie eine Tuberkulose-Therapie erhielten, sollen hier vereinfachend auch unter LTBI (sensu lato) gefasst werden. Die Personen mit LTBI (sensu lato) sollen durch eine einfache Diagnostik erkannt und ggf. ebenfalls zur weiteren chemopräventiven Behandlung überwiesen werden7. Zur Situation der TB in Deutschland siehe (3).

Tuberkulin-Testsysteme:
Aus den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes4, des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK)5, 7 und des eingangs zitierten Statements der ATS1 geht eindeutig hervor, dass bei Tuberkulin-Testungen nur der intrakutane Test nach Mendel-Mantoux angewendet werden soll. Sogenannte Tuberkulin-Stempelteste werden nicht mehr empfohlen, da eine genaue Dosierung der zu applizierenden Tuberkulin-Menge nicht erfolgen kann und es mehr oder weniger dem Zufall überlassen bleibt, wie viel Tuberkulin in die Haut gelangt und deshalb eine differenzierte Ablesung nicht möglich ist. Tuberkulin-Stempelteste werden in Deutschland seit Sommer 2004 nicht mehr angeboten.
Beim Tuberkulin-Test nach Mendel-Mantoux werden mit einer sogenannten „Tuberkulinspritze“ (max. Volumen 1 ml) und einer sehr feinen (0,4 x 20 mm = 27G x ¾´´ „Insulin-“) Kanüle genau 0,1 ml Lösung in die Haut injiziert. Diese Menge enthält dann genau 10 Test-Einheiten (TE) gereinigtes Tuberkulin (GT), z.B. von der Fa. Behring. Dies ist bioäquivalent mit 5 international Units (IU) PPD-S (purified protein derivate standard); oder auch 2 Test-Units (TU) von PPD-RT 23, das vom Statens Serum Institut Kopenhagen hergestellt wird.
Der Test wird üblicherweise an der Innenseite des Unterarms angelegt und nach 72 Stunden (spätestens nach einer Woche) abgelesen. Bewertet wird die tastbare Induration der Haut (nicht die Rötung!); gemessen wird der größte Durchmesser quer zur Längsrichtung des Armes2, 5.
Die Grenze, ab wann ein Hauttest als positiv zu bewerten ist, variiert mit der Prävalenz der Erkrankung im Umfeld des Untersuchten, bzw. mit dem individuellen Risiko des Untersuchten eine TB erwerben zu können; Erklärungen hierzu s. 1, 7. Unter Berücksichtigung des hier relevanten arbeitsmedizinischen Blickwinkels kann die Tabelle des DZK aus 7 S. 260 vereinfacht werden:
(Anmerkung: in den Schriften des DZK werden die jeweiligen Grenzen als „>“ (größer) X mm definiert. Hier soll jedoch an „≥“ (größer/gleich) festgehalten werden, da es dem internationalen Gebrauch, insbesondere den Schriften der ATS entspricht und der Unterschied marginal ist.)
Ergänzend wird auf die Aufstellung der ATS hingewiesen1, S. 1390 (Table 8).
Besteht nach stattgehabtem Kontakt zu TB-Erkrankten klinisch der Verdacht einer aktiven TB, so sollte eine Vortestung mit 1 TE GT = 0,5 IU PPD erfolgen, um stark entzündliche Hautreaktionen zu vermeiden6. An die gleichzeitige Röntgen-Untersuchung sollte hier gedacht werden. Bei Personen mit „empfindlicher Haut“ (z. B. bekannter Neurodermitis), sollte am anderen Arm eine intrakutane Injektion nur mit dem Lösungsmittel erfolgen, um Überempfindlichkeiten auf das (Phenol-haltige) Lösungsmittel zu erkennen.
Der Quantiferon®-Test (Fa. Cellestis) und der EliSpot T Spot-TB®-Test (Fa. IAVI / Oxford Immunotec) sind derzeit in Deutschland (noch) nicht allgemein eingeführt und können deshalb an dieser Stelle (noch) nicht in die Diagnostik einbezogen werden.

Zielgruppen
Zwei Bereiche sollen hier betrachtet werden:
1. Testung von Personen, die sich zur Einstellungsuntersuchung vorstellen
2. Betreuung bereits eingestellter MitarbeiterInnen, die berufliches Risiko für eine TB-Infektion haben: Arbeit in Risikobereichen (z. B. Infektiologie, Pathologie, TB-Labor usw.) bzw. Betreuung im Rahmen von TB-Umgebungsuntersuchungen

1. Einstellungsuntersuchungen
Bei Einstellungsuntersuchungen ist davon auszugehen, dass nur sehr wenige der Einzustellenden wirklich eine LTBI, eine unerkannt stattgehabte oder gar eine aktive TB haben. Das Screening soll sicherstellen, dass Menschen mit einer unerkannten LTBI (sensu lato) erkannt und ggf. behandelt werden können.
Da die Häufigkeit einer Erkrankung in der Bevölkerung (Prävalenz) die prädiktiven Werte des Testsystems mit bestimmt, ist es notwendig, sich bei der Testung auf Personen mit besonderem Risiko zu beschränken: “Therefore, screening of groups without a known or likely exposure to M. tuberculosis is not recommended. In these groups, a false positive result is more likely than a true positive result.“ ATS1.
Das DZK7 S. 258 äußert sich im gleichen Sinne: „Dieses Beispiel zeigt, dass der positive Tuberkulintest nur dort über einen hinreichend guten prädiktiven Wert verfügt, wo die Wahrscheinlichkeit einer Infektion im Vergleich zur Situation in der Gesamtpopulation deutlich erhöht ist, und er sich somit als reines Screening-Instrument für Populationen mit geringem Infektionsrisiko nicht eignet.“ Der positive prädiktive Wert gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei einem positiven Testergebnis auch die Erkrankung vorhanden ist.
Es wird daher vorgesehen, einen Tuberkulin-Hauttest nur bei folgenden Personen durchzuführen:
1. stattgehabter Kontakt zu Menschen mit aktiver Tuberkulose / Umgang mit Mycobakterien
2. Herkunft aus Ländern mit deutlich höherer TB-Prävalenz als in den westeuropäischen Industrieländern und Nordamerika; z. B. Herkunft aus:
– Russland und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (inkl. Baltenstaaten)
– Länder mit hoher HIV-Prävalenz (Asien / Afrika / Südamerika)
3. bestehende Erkrankungen, die eine besondere Anfälligkeit für Tuberkulose mit sich bringen (Immunsuppression im weiten Sinn), z. B.:
– HIV-Infektion
– Diabetes mellitus
– Spezielle hämatologische od. gastro-intestinale Erkrankungen (s. Tabelle links oben)
– Erkrankungen, die eine Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten erfordern (z.B. Corticoide, Zytostatika, Immunmodulatoren etc.).
Hier ist allerdings zu beachten, dass die letztgenannte Personengruppe gerade prädestiniert dafür ist, ein „falsch negatives“ Ergebnis im Tuberkulin-Hauttest zu zeigen. Ggf. sollte die Indikation für eine Rö-Thorax-Untersuchung (2 Ebenen) großzügig gestellt werden.
4. vorgesehene Tätigkeit in einem Bereich mit deutlich erhöhter TB-Gefährdung (z. B. Infektiologie, Pneumologie, Abt. m. Bronchoskopie, Pathologie, TB-Labor usw.), um hier quasi den „Nullwert“ vor Aufnahme der Tätigkeit zu dokumentieren. Hier wird auch eine regelmäßige Wiederholung des Testes alle 1 – 3 Jahre in Abhängigkeit von der Gefährdungsbeurteilung empfohlen (BiostoffV und berufsgenossenschaftlicher Grundsatz 42 für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, mit speziellem Teil 37: Tuberkulose).
Es steht im Ermessen des betreuenden Arztes/Ärztin auch außerhalb der o.g. Kriterien bei besonderen Umständen einen Tuberkulin-Hauttest durchzuführen, bzw. auch eine Röntgen-Thorax-Untersuchung in 2 Ebenen zu veranlassen.

2. Betreuung von MitarbeiterInnen, die berufliches Risiko für eine TB-Infektion haben
Die Ermittlung und weitere Kontrolle von Kontaktpersonen von TB-Erkrankten ist eigentlich Aufgabe des zuständigen Gesundheitsamtes, bzw. der dortigen Tuberkulose-Fürsorgestelle. Die Delegierung dieser staatlichen Aufgabe an das AMZ liegt jedoch auch im Interesse des Hauses und dient dem bestmöglichen Gesundheitsschutz der ArbeitnehmerInnen vor Ort. So können also die ArbeitnehmerInnen der Charité aufgrund entsprechender Vereinbarungen auch vom Arbeitsmedizinischen Zentrum betreut werden. Für Detailfragen wird hingewiesen auf die: „Information und Leitlinie zur Umgebungsuntersuchung bei Kontakt zu Patienten mit offener Tuberkulose“.
Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Personen, die in klassischen „Risiko-Bereichen“ arbeiten (z. B. Infektiologie, Pathologie, TB-Labor usw.). Sie werden im Rahmen von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig untersucht und befinden sich quasi in kontinuierlicher TB-Überwachung.
Hauptsächlich werden Umgebungsuntersuchungen durchgeführt für MitarbeiterInnen, die zwar nicht in Risikobereichen arbeiten, die aber trotzdem unvorhersehbar einen beruflichen Kontakt zu einem Patienten mit ansteckungsfähiger Tuberkulose hatten. Für die letztgenannte Gruppe wird ca. 3 Monate nach dem letzten Kontakt ein Mendel-Mantoux-Hauttest durchgeführt (Grenze: Induration > 5 mm, s. o.). Sollte der Hauttest positiv sein, folgt eine Röntgenuntersuchung der Lungen (in 2 Ebenen). Wenn möglich, besonders jedoch bei Kontakt zu Patienten mit mikroskopischem Nachweis von Tuberkelbakterien im Sputum, wird nach 6 Monaten eine weitere Untersuchung durchgeführt. Weitere spätere Untersuchungen können jederzeit bei Auftreten von typischen klinischen Beschwerden notwendig sein6.
Aus versicherungstechnischen Gründen ist es zu erwägen (falls zeitlich machbar), bei MitarbeiterInnen, die bei Einstellung nicht mit Tuberkulin getestet wurden, oder deren (negativer) Test schon länger zurückliegt, sofort (innerhalb von 2 Wochen) nach der Exposition einen Mendel-Mantoux-Test anzulegen. So ließe sich quasi der „Status vor Infektion“ dokumentieren, da innerhalb von 2 Wochen noch nicht mit einer Konversion des Tuberkulin-Hauttestes gerechnet werden kann.
Im Falle einer „Konversion“ des Hauttestes, oder bei radiologischem Verdacht auf eine neu entstandene Veränderung bedingt durch eine TB kann von einer Übertragung ausgegangen werden. Diese Personen sollen zur weiteren infektiologischen / pneumologischen Beratung in entsprechenden Facheinrichtungen vorgestellt werden, damit gemäß den in 7 veröffentlichten Kriterien über eine Chemoprävention / Chemotherapie entschieden werden kann. Des Weiteren soll neben der Meldung nach dem Infektionsschutzgesetz auch ggf. die Meldung des Verdachtes auf eine Berufserkrankung bei der zuständigen Berufsgenossenschaft erfolgen8.

Literaturhinweise
1 Diagnostic Standards and Classification of Tuberculosis in Adults and Children. Am J Respir Crit Care Med Vol 161. pp 1376-1395, 2000, abrufbar im Internet unter:
http://www.thoracic.org/adobe/statements/tbadult1-20.pdf
(TB-Klassifikation S. 1391-1392)
(Tuberkulintestung S. 1388)
(Testung v. Krankenhauspersonal S. 1390 li. Spalte oben)

2 American Thoracic Society: Targeted Tuberculin Testing and Treatment of Latent Tuberculosis Infection; Am J Respir Crit Care Med Vol 161. pp S 221-S 247, 2000
http://www.thoracic.org/adobe/statements/latenttb1-27.pdf
Zur Behandlung LTBI s. Update: MMWR, August 8, 2003/Vol. 52/No. 31
http://www.thoracic.org/adobe/statements/mmwr0803.pdf

3 Robert Koch Institut (RKI), Bericht zur Tuberkulose in Deutschland für 2002; Zusammenfassung im Internet:
http://www.rki.de/INFEKT/WTB04/WTB04_ZUSAMMENFASSUNG.PDF

4 RKI Ratgeber Infektionskrankheiten, Merkblätter für Ärzte: Tuberkulose
Internet: http://www.rki.de/INFEKT/INFEKT.HTM?/INFEKT/INF_A-Z/
RATMBL/RATMBL4.HTM&1

5 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Richtlinien zur Tuberkulindiagnostik, Sonderdruck aus: „Deutsches Ärzteblatt – Ärztliche Mitteilungen“, Jahrgang 93, Heft 16, S. 1199-1201 / 19.April 1996 (61), Deutscher Ärzteverlag (dort unter dem Titel: Tuberkulindiagnostik, von Rudolf Ferlinz)
Im Internet: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=1388
(Tuberkulineinheiten S. 2)
(Bewertung Stempeltest S. 5)

6 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Richtlinien für die Umgebungs-untersuchung bei Tuberkulose. Nachdruck (1997) aus: Gesundheitswesen 58 (1996) S. 657-665
(Definition der Kontakte S. 5)
(Vortestung m. 1 TE GT S. 11)
(Nachuntersuchungsschema S. 11ff)

7 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Latente tuberkulöse Infektion: Empfehlungen zur präventiven Therapie bei Erwachsenen in Deutschland. Pneumologie 2004; 58: 255-270

8 Tuberkulose als Berufskrankheit, ein Leitfaden zur Begutachtung. A. Nienhaus, S. Brandenburg, H. Teschler, ecomed Verlagsgesellschaft AG, Landsberg, 2003 (kann von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bezogen werden)

9 Tuberkulose bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst, hier: Handlungshilfe für Betriebsärzte. Rundschreiben der Unfallkasse Berlin an Betriebsärztinnen und Betriebsärzte der Versicherten der Unfallkasse Berlin; vom 19.8.2004

Anschrift des Verfassers:
U. Poggensee
Arbeitsmedizinisches Zentrum der Charité,
Berlin
Campus Virchow Klinikum (CVK)
Augustenburger Platz 1,
13353 Berlin-Wedding

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