Sonstiges

Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Managementsysteme steigern die Personalressource von Unternehmen – eine Chance für die Arbeitsmedizin

Zusammenfassung

Aus der Sicht der beteiligten Arbeitsmedizin wird ein Erfahrungsbericht über die Implementierung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagementsystems in einem holzindustriellen Unternehmen in Österreich vorgestellt. Eine systematische Herangehensweise unter Einbeziehung von Geschäftsleitung, Vorgesetzten und Mitarbeitern ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der geplanten Eingriffe.

Schlüsselwörter: Managementsystem – Implementierung

Summary

From the view of occupational medicine a field report is given about the implementation of a health and safety management system in an Austrian wood-processing company. A systematic approach involving company management, leaders and employees is the prerequisite for a successful implementation.

Key words: management system – implementation

Einleitung
Das SGM (Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Managementsystem) der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Österreich (AUVA) umfasst alle Bereiche von Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten. SGM ist ein Teil der Gesamtführungsaufgabe. Ziele und Verantwortungen werden festgelegt, die konkreten Stör- und Risikofaktoren im Betrieb als Arbeitssicherheitsdefizite identifiziert und eliminiert. Schließlich werden systematisch alle Aktivitäten geplant und initiiert, welche notwendig sind, um die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen und den Schutz der Beschäftigten vor Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sicherzustellen. Als Arbeitsmediziner haben auch wir die Möglichkeit und Pflicht, uns einzubringen und Gesundheitsschutzziele mit entsprechenden Maßnahmen festzulegen.

Ich betreue als externe Arbeitsmedizinerin vier holzindustrielle Unternehmen in Österreich mit knapp 1200 Mitarbeitern. Diese Sägewerke gehören zu einem finnisch-schwedischen Papier- und Verpackungskonzern, der hauptsächlich im Bereich der Erzeugung von Holz und Holzprodukten im konstruktiven Bereich engagiert ist. Anhand der internen Unfallstatistiken der 25 Sägewerke in Europa und der 22 weiterverarbeitenden Werke wurde ich für die österreichischen Werke mit einer überdurchschnittlich hohen Arbeitsunfallrate und damit auch den entsprechenden Arbeitsausfallstagen und verbundenen Kosten konfrontiert. Auch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Österreich (AUVA) wies die Betriebe auf die Notwendigkeit zu handeln hin. Bei einem Werksbesuch stellte der AUVA–Betreuer als neues Produkt das Sicherheits– und Gesundheitsschutz-Managementsystem (SGM) der AUVA vor.

Methode
Schon aus den Leitlinien ist ersichtlich, dass der Grundgedanke des SGMs eine systematische Auseinandersetzung mit den Abläufen der betrieblichen Prozesse unter den Aspekten von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ist. Ziel ist eine kontinuierliche Verbesserung in den Bereichen Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Auf diesem Weg sollen die Arbeitszufriedenheit, Gesundheit und Motivation der Mitarbeiter gefördert werden. Bei diesen Zielen darf auch der sehr betriebswirtschaftlich klingende Begriff des Managementsystems nicht abschrecken.

Genau genommen sind im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, der rechtlichen Grundlage des Arbeitnehmerschutzes, bereits die wichtigsten Punkte eines solchen SGMs verankert:

– Aufgaben, Rechte und Pflichten aller Beteiligten sind im Gesetz definiert. Dies entspricht im SGM den Elementen der Aufbauorganisation.

– Sicherheitsrelevante Prozesse sollen definiert und beschrieben werden. Im SGM sind dies Elemente der Ablauforganisation.

– Auf die Dokumentationspflicht wird im SGM wie im Gesetz hingewiesen.

– Sicherheitsmaßnahmen, Anpassungen an den Stand der Technik, verbesserte Ausbildungen sollen einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterliegen.

– Eine Verbesserung der Kommunikation soll durch die Information von Mitarbeitern und Vorgesetzten, Unterweisung und Schulung der Arbeitnehmer erreicht werden.

– Das im SGM geforderte Review spiegelt sich im gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitssicherheitsausschuss wieder.

Das Managementsystem stellt also weniger eine grundlegende Neuerung als vielmehr eine Ergänzung und eine verbesserte Dokumentation der Durchführung rechtlicher Vorgaben dar. Ziele des SGM sind neben der

– Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und der

– Förderung der Gesundheit

auch das

– Erreichen eines hohen Maßes an Informations-, Kommunikations- und Motivationsqualität,

– die Beherrschung von Notfällen,

– das Erreichen der Rechtssicherheit für Verantwortliche,

– die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und dadurch letztendlich

– ein Imagegewinn und eine Wertsteigerung des Unternehmens.

Die Ideen des SGM wurden dem Geschäftsführer der zentraleuropäischen Produktionsgruppe unterbreitet. Da zur selben Zeit vom Gesamtkonzern ein Umweltmanagement nach EMAS (Environmental Management and Audit Scheme) gefordert wurde, konnte es mit dem SGM als ein integriertes Managementsystem kombiniert werden. Der Gedanke, dass die Werke in Zentraleuropa eine Vorreiterrolle innerhalb des Konzerns übernehmen könnten, überzeugte auch die Geschäftsführung. Man entschied sich für ein Pilotprojekt in Bad St. Leonhard in Kärnten (Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt bestand zwar dort schon ein Qualitätsmanagementsystem. Dieses war allerdings seinerzeit nur geschrieben und abgelegt worden, an ihm wurde jeweils erst wieder vor dem nächsten Audit gearbeitet. Daher waren die Hauptanliegen der Betriebsleiter an das SGM der Nachweis von Erfolgen und die nachhaltige Wirkung eines solchen Managementsystems. Einstimmig wurde beschlossen, es in den anderen Werken zu übernehmen, wenn die Zahlen des Pilotprojekts überzeugten.

Es wurden ein Plan der notwendigen Ressourcen erstellt und ein Projektteam gebildet. Für die Zeit der Implementierung des integrierten Managementsystems wurden bestellt

– ein Projektleiter, der zu 50% seiner Arbeitszeit involviert war,

– ein Standortbeauftragter (bis dahin Abfallbeauftragter) zu 100%,

– ein Projektkernmitglied, ein junger Holztechniker, der seine Diplomarbeit über EMAS in Bad St. Leonhard geschrieben hatte, zu 100%,

– sowie die Sicherheitsfachkraft und die Arbeitsmedizinerin jeweils weit über die gesetzliche Einsatzzeit hinaus.

Der Zeitrahmen der Implementierung war ursprünglich mit einem halben Jahr geplant. Mit Beginn im September 2003 sollte er mit dem externen Audit im Februar 2004 enden. Im Nachhinein erwies sich dies zu kurz.

Erarbeitung
Es wurden Mindestanforderungen an das SGM erstellt.

Wir führten eine IST-Analyse im Betrieb durch. Da die bisher vorhandenen Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente nicht aktualisiert worden waren, entschieden wir uns zu einer kompletten Überarbeitung beziehungsweise einer Neuerstellung. Diese Dokumente wurden nun aber so gestaltet, dass sie auch zur arbeitsplatzbezogenen Unterweisung herangezogen werden können. Bei jeder Veränderung an den Arbeitsplätzen wird die Aktualisierung der Dokumente dann handschriftlich von den Abteilungsleitern vorgenommen, einmal pro Jahr werden diese Daten von der Sicherheitsfachkraft in die Evaluierung eingearbeitet.

Zeitgleich wurde damals vom TÜV eine gewerbebehördliche Überprüfung vorgenommen. Die in dieser Überprüfung wie auch in der Evaluierung festgestellten Mängel wurden in einem Aktionsplan aufgenommen. Ihnen wurde hierin zugeordnet, welcher Mangel von wem, bis zu welchem Zeitpunkt behoben werden muss, in wessen Verantwortung er liegt und wer die Behebung des Mangels meldet.

Im nächsten Schritt wurden gemeinsam mit dem Betriebsleiter und den Abteilungsleitern die Richtlinien der konzerninternen Sicherheits-, Gesundheitsschutz- und Umweltpolitik sehr vereinfacht und so für jedermann verständlich verfasst. Zusätzlich wurden werkspezifische Schwerpunkte eingearbeitet (Abb. 2). Wichtig war nun, diese Leitlinien auch an alle Mitarbeiter zu kommunizieren. Hierfür wurden Kärtchen in einem handlichen A6 Format geschrieben. Auf der Vorderseite sind dort in Rot die Ziele von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, auf der Rückseite in grüner Farbe die der Umweltpolitik notiert. Diese Kärtchen werden jedem Mitarbeiter bei der Unterweisung ausgehändigt und mit Beispielen verständlich und einprägsam veranschaulicht. An häufig frequentierten Stellen im Betrieb wurden Poster aufgehängt, die Leitsätze sollten überall präsent sein. Tatsächlich zücken heute bei Nachfrage unsere Mitarbeiter sofort ihr Kärtchen und können den Inhalt wiedergeben – sogar Ferialpraktikanten, die zum Zeitpunkt des Audits bei uns arbeiteten, wussten darüber Bescheid.

Danach legte das Managementteam gemeinsam mit dem Projektteam die Ziele für das laufende Jahr fest. Nach dem Grundsatz „if you can‘t measure, you can‘t manage“ überlegten wir uns messbare Indikatoren für die Ziele. Die Indikatoren, die von uns im ersten Jahr ausgewählt wurden, waren u.a.

– Anzahl der Arbeitsunfälle,

– Ausfallszeiten,

– Kosten für Ausfallszeiten,

– Fluktuation,

– Tragequote der persönlichen Schutzausrüstung,

– Kosten für Arbeitssicherheit,

– Kosten für Gesundheitsschutz.

Es wurden z.B. eine Reduktion der Arbeitsunfälle um 50%, eine für ein Jahr anhaltende Reduktion der Raucher im Betrieb um 3%, eine Teilnahmerate an Vorsorgeuntersuchungen von 25% angestrebt. Zum Erreichen dieser Ziele mussten nun Aktivitäten, Maßnahmen und Ressourcen geplant werden. Für die Reduktion der Arbeitsunfälle wurde eine konsequente Aufnahme und Beseitigung der technischen Mängel vorgenommen. Außerdem fanden Unterweisungen in Form von Diskussionen in Kleingruppen mit maximal 6Arbeitnehmern statt. Es wurden dabei allgemeine Informationen über das SGM gegeben und gemeinsam mit den Arbeitern präventive Maßnahmen ermittelt. Die Verbesserungsvorschläge wurden protokolliert. Die ursprünglich veranschlagte Besprechungsdauer pro Team von ca. einer Stunde verlängerte sich in der Regel auf mehr als das Doppelte. Die begeisternde Mitarbeit der Arbeiter zeigte uns, dem Projektteam, immer wieder, dass wir auf dem richtigen Weg waren.

Die Verbesserungsprotokolle wurden anschließend mit dem Betriebsleiter und Managementteam besprochen. Vieles konnte mit nur geringem Investitionsaufwand oder durch eine organisatorische Veränderung rasch erledigt werden. Wenn Vorschläge nicht sofort oder gar nicht umsetzbar waren, wurde zeitnah ein Feedback an die Mitarbeiter weitergegeben. Gegebenenfalls wurden sie um die Mitarbeit am Aktionsplan gebeten. Das beflügelte wiederum die Arbeitnehmer, die sahen, dass ihre Vorschläge ernst genommen wurden.

Die meiste Zeit und Mühe nahmen die Beschreibung der verschiedenen sicherheitsrelevanten Prozesse und die Erstellung der notwendigen Verfahrens- und Arbeitsanweisungen für interne Abläufe in Anspruch. Als Bespiele seien hier erwähnt das Verhalten nach einem Arbeitsunfall (wer meldet wem, wie erfolgt die Analyse, wer führt die Unterweisung durch, wer erhebt die Statistiken?), die Beschaffung und Lenkung der Sicherheitsdatenblätter (der Zentraleinkauf besorgt die Sicherheitsdatenblätter und hinterlegt sie in deutscher und tschechischer Sprache im KORE (dem Kostenrechnungsprogramm)), Vorgehensweise bei Neueintritten (Ausgabe der persönlichen Schutzausrüstung, Unterweisung, Rundgang zum Kennenlernen der Firma) oder der Umgang mit Speditionen, Fremdpersonal und Leihpersonal, Umgang mit Kettensägen, … usw.

Für die Arbeitsmedizin war in diesem Prozess eine fächerübergreifende Zusammenarbeit insbesondere mit der Arbeitssicherheit unerlässlich. An allen Unterweisungsformularen habe ich mitgearbeitet und auch versucht, im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten anwesend zu sein, zum Teil auch während der Nachtschichten. Gerade dadurch konnten Probleme der Mitarbeiter auch unter arbeitspsychologischen Aspekten bearbeitet werden.

Für die arbeitsmedizinische Tätigkeit im engeren Sinne führte ich einen Untersuchungskalender ein (Excel-Tabelle) mit allen Einstellungs-, Vorsorgeerst-, und -folgeuntersuchungen, Audiometrien für Lärmarbeitsplätze, Augenuntersuchungen, Nachtschichtuntersuchungen, Impfungen usw. Quartalsweise werden von mir Auszüge ausgedruckt und vom Personalbüro so organisiert, so dass alle Untersuchungen termingerecht absolviert werden können.

Evaluierung
Anfang des Jahres 2004 erprobten wir das erste Managementreview. Hierbei sollte jeder der Teilnehmer seine Rolle kennen lernen. Es wurden die gewählten Indikatoren und die Ziele überprüft, durch die Erfahrungen aus der ersten Unterweisungsrunde wurden bereits kleine Veränderungen in den Aktionen und Maßnahmen eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass wir unseren Zeitplan nicht würden einhalten können. Die schriftlichen Unterlagen waren zu dieser Zeit fast fertig gestellt, doch die Mitarbeiter waren noch zu wenig mit einbezogen worden. Die Kommunikation musste noch viel mehr gefördert werden, sowohl top-down wie auch bottom up. Wir installierten Abteilungsdiskussionen, etwa einstündige Gespräche, die einmal im Quartal mit jeder der 3 Schichten geführt wurden. Den Abteilungsleitern wurden Vorlagen für diese Gespräche ausgearbeitet. Diese Informationen betreffen nicht nur das SGM. Sie bringen den Mitarbeitern allgemeine Firmeninformationen wie Produktionszahlen, Ergebnisse, Reklamationen, aber auch Arbeitsunfälle aus den äquivalenten Abteilungen anderer Werke, die Ergebnisse des Managementreviews und die geplanten, die Abteilung betreffenden Maßnahmen im Aktionsplan näher. Die Mitarbeiter können in diesem Forum ihre Kritiken oder Verbesserungsvorschläge weitergeben. Sie wurden über die Ziele und Sinn des SGM befragt und auch die Firmenpolitik wurde nochmals durchgesprochen und erläutert. Auch hier konnten wir ein großartiges Engagement aller Beteiligten feststellen. Die Mitarbeiter gingen ganz offensichtlich mit offenen Augen durch den Betrieb, die Selbstverantwortung wurde gefördert

Im Mai 2004 wurde durch den internen Sicherheitsbeauftragten von Stora Enso ein internes Audit durchgeführt. Die dabei entdeckten Mängel wurden von uns wiederum in den Aktionsplan eingearbeitet oder behoben.

Im Juli 2004 fand die externe Überprüfung durch die AUVA statt. Wir konnten die Auditoren von unserem lebenden Managementsystem überzeugen und wurden zertifiziert. Jährlich muss nun ein Bericht an die AUVA geschickt werden. Werden zuvor definierte Ziele nicht erreicht, so ist dies zu erklären. Bei größeren Abweichungen wird ein vorzeitiges externes Audit festgesetzt.

Schlussbemerkungen
Die Auswertung der Arbeitsunfallzahlen von Bad St. Leonhard (Grafik 1) hat dann auch die Betriebsleiter der drei anderen österreichischen Werke dazu veranlasst, das SGM nun auch dort zu übernehmen.

Der Erfolg hat die Hauptgeschäftsleitung in Helsinki überzeugt. Sie fordert nun bis Ende 2006 ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagementsystem in allen Sägewerken.

Dr. Sigrid Klufa Stora Enso Timber Bad St. Leonhard GmbH Wisperndorfgasse 4 A-9462 Bad St. Leonhard Österreich

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