Sonstiges

Tagungsbericht zum 2. Nordbadischen Forum „Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit“

Am 10. und 11. M߃¤rz 2005 fand das 2. Nordbadische Forum ߢ”‚¬Å¾Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeitߢ”‚¬Å“ im Mannheimer Schloss statt. Neben kurzen Beschreibungen der ߃¼brigen Vortr߃¤ge wird im Folgenden in einem l߃¤ngeren Referat auf den Vortrag von E. Ulich eingegangen, der auch im Zentrum des Forums stand.

Rechtliche Novellierungen in der Betreuung von Betrieben
Ein zentraler Punkt der Tagung war die anstehende Deregulierung im Arbeitsschutz, die m߃¶glichen Gefahren und auch die M߃¶glichkeiten und Chancen. Auf die M߃¶glichkeiten, durch die Deregulierung den Arbeitsschutz anwendungsorientierter, besser auf den einzelnen gro߃Ÿen oder kleinen Betrieb zugeschnitten durchf߃¼hren zu k߃¶nnen, wies Sobetzko in seinem Referat hin. Er sah darin die Chance, dass Arbeitsschutz dadurch auch vom Unternehmer weniger als Kostenfaktor, sondern vielmehr als integraler Bestandteil des Unternehmens gesehen wird.
G. Strothotte, einer der Mitverfasser der neuen BGV A2 (Betriebs߃¤rzte und Fachkr߃¤fte f߃¼r Arbeitssicherheit), erl߃¤uterte diese insbesondere bez߃¼glich der Konsequenzen f߃¼r Klein- und Mittelbetriebe (KMU). Hier gibt es zur Zeit von BG zu BG sehr unterschiedliche Betreuungsmodelle. Schwierigkeiten bestehen insbesondere in der Praktikabilit߃¤t (Minieinsatzzeiten), die eine feste Einsatzzeit h߃¤ufig als nicht sinnvoll erscheinen l߃¤sst. Eine St߃¤rkung der Eigenverantwortlichkeit der Betriebe, eine Ausrichtung der Betreuung am Gef߃¤hrdungspotenzial, gleiche Betreuungsma߃Ÿst߃¤be bei gleicher Gef߃¤hrdung und eine Qualit߃¤tssicherung soll die Akzeptanz der Betreuung in den Betrieben erh߃¶hen. Die Umsetzung der BGV A2 durch die einzelnen BGen ist noch nicht abgeschlossen.
Die neue Gefahrstoffverordnung ist am 1. 1. 2005 in Kraft getreten. Ein Ziel der neuen Fassung war es, deren Akzeptanz und damit ihre Umsetzung auch bei Klein- und Mittelbetrieben (KMU) zu erh߃¶hen. Dies soll durch eine genaue und auch f߃¼r Laien verst߃¤ndliche Beschreibung der Gef߃¤hrdungsbeurteilung als Voraussetzung f߃¼r die Erstellung der erforderlichen Betriebsanweisungen erreicht werden. K. Fr߃¶hlich konkretisierte das Schutzstufenkonzept als Grundlage betrieblicher Handlungs- und Dokumentationsaktivit߃¤ten im Rahmen des Arbeitschutzes (Notwendigkeit von Gefahrstoffverzeichnis, Betriebsanweisung, arbeitsmedizinisch-toxikologischer Beratung, Substitutionsempfehlung/-pflicht, Verwendung geschlossener Systeme). Er diskutierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den alten MAK- und TRK-Werten und den neuen Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) insbesondere bez߃¼glich ihrer Mittelung ߃¼ber die Zeit.
F. Grauer stellte die Systematik und den Geist der novellierten Arbeitsst߃¤ttenverordnung vom 25. 8. 2004 als nationaler Umsetzung der EG-Arbeitsst߃¤ttenrichtlinie vor. Die Schutzziele sollen Raum f߃¼r betriebsnahe Gestaltungsm߃¶glichkeiten lassen und werden nur dann konkretisiert, wenn im Belastungsfall Gesundheitssch߃¤den m߃¶glich sind oder wenn Anforderungen keinen nachtr߃¤glichen Gestaltungsspielraum zulassen.
M. Sehling referierte ߃œberlegungen ߃¼ber die Rolle des Betriebsarztes beim Disability Management, insbesondere unter Ber߃¼cksichtigung des ߂§84 Abs. 2 im SGB IX. Dieser hat nach Aussagen von Vertretern des Sozialministeriums die Erhaltung von Arbeitspl߃¤tzen von chronisch Kranken und behinderten Menschen zum Ziel (bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass dieser Paragraph, obwohl im SGB IX, Schwerbehindertenrecht untergebracht, sich gleichwohl auf die gesamte Mitarbeiterschaft bezieht; Anmerkung des Verfassers). In das geforderte Wiedereingliederungsmanagement ist der Betriebsarzt von Gesetz wegen, aufgrund seiner Kompetenz in medizinischen, insbesondere sozialmedizinischen Fragen auch logischerweise mit einbezogen und durchaus pr߃¤destiniert, eine Koordinatorenrolle zu ߃¼bernehmen. Zu koordinieren sind u. a. intern Vorgesetzte, Personalabteilung, Personalrat, evtl. Vertrauensperson der Schwerbehinderten und Schwerbehindertenbeauftragte, extern behandelnde ߃”€žrzte, Kliniken, Sozialversicherungen und evtl. das Integrationsamt. Der Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) offeriert f߃¼r diese Aufgabe ein Bildungsangebot (Disability Manager).

Einzelthemen
Weiter in die praktisch-allt߃¤gliche Arbeit ging es dann im Vortrag von
S. Schoppe-Jochum ߃¼ber den ߢ”‚¬Å¾Atemschutztr߃¤ger im Spannungsfeld zwischen arbeitmedizinischer Untersuchung und pers߃¶nlicher Erwartungߢ”‚¬Å“. ߃œber die in der BG-Vorschrift G26 nachlesbaren Untersuchungsinhalte hinaus erschienen folgende Hinweise wichtig: 1. Die Ergometrie kann zwar Personen herausfiltern, die als Atemschutztr߃¤ger nicht geeignet sind, sie stellt aber keine Eignungspr߃¼fung im positiven Sinne dar. 2. Die ߢ”‚¬Å¾vermeintlichߢ”‚¬Å“ peripheren Untersuchungen zum Vorliegen von Trommelfellsch߃¤den, Eingeweidebr߃¼chen, Obesitas, H߃¶rverm߃¶gen k߃¶nnen im realen Einsatz von kritischer Bedeutung sein. Selbst der Bart kann zum Problem werden. 3. Von Seiten der technischen Ma߃Ÿnahmen sind das Gewicht und der Tragekomfort der Pressluftatmer, die Frage, welche Ger߃¤tschaften tats߃¤chlich mitzuf߃¼hren sind und die Art und Beschaffenheit der Einsatzkleidung ins Kalk߃¼l zu ziehen. All dies kann zu Differenzen zwischen ߃¤rztlicher Erwartung und der der Betroffenen f߃¼hren. Dies bedarf der intensiven Kommunikation.
Nauert referierte ߃¼ber das speziell im Krankenhaus- und dort im OP-Bereich nach wie vor hochaktuelle Thema der nosokomialen Infektionen, insbesondere der chronischen Hepatitiden. Die Arbeitsmedizin ߃¼bt hier nach wie vor den Spagat zwischen Melde- und Schweigepflicht, ohne dass bisher eine zufriedenstellende rechtliche L߃¶sung gefunden worden w߃¤re.
A. Wittmann stellte eine Studie zur m߃¶glichen Kostenersparnis durch den Einsatz sicherer Kan߃¼len im Krankenhausbereich vor. Diese Kan߃¼len haben integrierte Sicherheitseinrichtungen, die ein versehentliches Stechen nach ordnungsgem߃¤߃Ÿem Gebrauch weitgehend ausschlie߃Ÿen. Bei der jetzigen Frequenz von Nadelstichverletzungen besteht zumindest f߃¼r den Unfallversicherungstr߃¤ger, mutma߃Ÿlich aber auch f߃¼r den Krankenhaustr߃¤ger ein ߃¶konomischer Nutzen durch den Einsatz solcher Sicherheitskan߃¼len. Grunds߃¤tzlich besteht ohnehin aufgrund der Vorgaben von Arbeitsschutzgesetz und Biostoffverordnung mit ihren Umsetzungen insbesondere durch die TRBA 250 die Pflicht im Arbeitsschutz, den Stand der Technik auch einzusetzen.
K. Scheuermann warb in dem Vortrag ߢ”‚¬Å¾Halonersatz, eine komplexe Anforderung an den betrieblichen Brandschutzߢ”‚¬Å“ darum, sich gerade nach dem FCKW-Verbot verst߃¤rkt mit der Erstellung eines betrieblichen Brandschutzkonzepts auseinanderzusetzen.
Ein mittlerweile allgemein bekanntes arbeitsmedizinisches Problem stellen die Fehlbelastungen insbesondere der Wirbels߃¤ulenmuskulatur am Bildschirmarbeitsplatz dar. Ratschl߃¤ge zur intermittierenden Regeneration und Lockerung in gut gemeinten Brosch߃¼ren werden in der Regel fr߃¼hestens dann befolgt, wenn Beschwerden vorhanden sind, vorher aber einfach vergessen. B. von Hardenberg und R. Ram-Devrient stellten ein PC-gesteuertes Programm zur R߃¼ckenpr߃¤vention (moving) vor, das in regelm߃¤߃Ÿigen Zeitabst߃¤nden am Bildschirm zu einfachen, im Sitzen durchf߃¼hrbaren gymnastischen ߃œbungen (Vorw߃¤rts-/R߃¼ckw߃¤rts; Dehnung; Streckung; Links-/Rechtsbewegung) auffordert. Studien zu seiner Effizienz wurden durchgef߃¼hrt.
Verl߃¤ssliche Daten zum Einfluss des Konsums legaler und illegaler Drogen auf Arbeitsleistung und Arbeitsunf߃¤lle existieren nicht. Bei Einstellungsuntersuchungen weisen 1ߢ”‚¬”€œ6 % positiver (Cannabis-)befunde im Screening auf einen Konsum in den vier vorhergehenden Wochen hin. Da Drogenkonsumenten im Vergleich zu Alkoholkonsumenten weniger Bef߃¼rchtungen vor einem Verlust des Arbeitsplatzes haben, geht K. Hupfer davon aus, dass die Dienst- oder Betriebsvereinbarung Sucht als Therapeutikum bei dieser Klientel weniger wirksam ist. Falls Drogenschnelltests als Gruppentests durchgef߃¼hrt werden, so sind bei Verdacht auf Drogenkonsum und positivem Testausfall aufgrund m߃¶glicher unspezifischer Kreuzreaktionen eine Blutprobenanalyse und zur Sicherung eine Urinanalyse mittels GC/MS anzustreben, sp߃¤testens dann, wenn arbeitsrechtliche Konsequenzen im Raum stehen.
In mehreren Seminaren kamen praktische Fragen aufs Tapet: H. Fleck gab Einblicke in Funktionsweise, Durchf߃¼hrung, Interpretation und Fallstricke der Spirometrie.
H. Berg erl߃¤uterte den BG-Grundsatz G20 mit den Stufen L߃¤rm I, II und III (L߃¤rm I zur Erkennung auff߃¤lliger Versicherter, danach L߃¤rm II, bei vermuteter wesentlicher Beeintr߃¤chtigung der Kommunikationsf߃¤higkeit L߃¤rm III) und wies darauf hin, dass zum 15. 2. 2006 die EU-Richtlinie L߃¤rm (2003/10/EG) in nationales Recht umgesetzt sein muss. Sehr hilfreiche Informationsquellen wurden angegeben:
www.hvbg.de/d/bia/fac/softwa/psasw/index.html (PSA-Auswahlprogramm)
www.hvbg.de (Regeln, Vorschriften, Formulare)
HVBG, CD L߃¤rm und Geh߃¶rschutz
(Tel. 02241/231-0)
Bundesanstalt f߃¼r Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, CD Schwerh߃¶rig durch L߃¤rm
(Tel. 0471/94544-0)
AMD Bau BG Frankfut a. M., CD L߃¤rmschwerh߃¶rigkeit ߢ”‚¬Â¦ nur die Verh߃¼tung z߃¤hlt
(Tel. 069/47053-10)
SUVA, CD Audio Demo 3 (www.suva.ch)
www.smbg.de/Sites/institutionen/fachausschuss.htm Umsetzung der EG-Richtlinie.
S. Jehle schlie߃Ÿlich referierte und diskutierte das Thema Brandschutz im Betrieb und im Privaten in einem eindr߃¼cklichen Experimentalvortrag.

Gesundheitsf߃¶rderung im Betrieb
(Referat auf der Basis der von E. Ulich freundlicherweise ߃¼berlassenen Unterlagen).
In der Kopenhagen-Konferenz der WHO1 wurde die Forderung aufgestellt, dass sich bis zum Jahr 2000 in allen Mitgliedsstaaten ߢ”‚¬Å¾durch Schaffung ges߃¼nderer Arbeitsbedingungen, Einschr߃¤nkung der arbeitsbedingten Krankheiten und Verletzungen sowie durch die F߃¶rderung des Wohlbefindens der arbeitenden Bev߃¶lkerung der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer verbessert habenߢ”‚¬Å“ soll. Dieses Ziel ist offensichtlich nicht erreicht wordenߢ”‚¬Â¦ Damit gewinnt die von Nefiodow2 vorgelegte Zukunftsprojektion an Bedeutung. Seine Auseinandersetzung mit den langen Wellen der Konjunktur3 f߃¼hrt zu dem Ergebnis, dass ߢ”‚¬Å¾die hohen Kosten der sozialen Entropieߢ”‚¬Å“ die gr߃¶߃Ÿte Wachstumsbarriere am Ende des f߃¼nften Kondratieff darstellen und der gemeinsame Nenner des sechsten Kondratieff durch ߢ”‚¬Å¾Gesundheit im ganzheitlichen Sinnߢ”‚¬Å“ zu kennzeichnen ist (Abb. 1).
Gratifikationskrisen mit entsprechenden Auswirkungen auf kardiovaskul߃¤re Erkrankungen, emotionale Ersch߃¶pfung oder arbeitsbedingtes Voraltern geh߃¶ren neben den h߃¤ufig gefundenen Symptomen von Stress zu den m߃¶glichen Folgen derartiger Arbeitsstrukturen. Anhaltender Stress am Arbeitsplatz ist ein wesentlicher Faktor f߃¼r das Auftreten von depressiven Verstimmungen. Diese St߃¶rungen stehen bei der weltweiten Krankheitsbelastung (global disease burden) an vierter Stelle4. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass sie bis 2020 nach den isch߃¤mischen Herzerkrankungen vor allen anderen Krankheiten auf dem zweiten Platz stehen werden.
Hohe Anforderungen, vollst߃¤ndige T߃¤tigkeiten, M߃¶glichkeiten des Lernens, der Entwicklung und des sozialen Interaktion sowie Autonomie und kollektive Selbstregulation sind verh߃¤ltnisorientierte Merkmale gesundheits- und pers߃¶nlichkeitsf߃¶rderlicher Arbeitsgestaltung. Sie erzeugen bzw. erm߃¶glichen zugleich Orientierungen und Verhaltensweisen, die die aus den Arbeitsbedingungen resultierenden Effekte stabilisieren oder sogar verst߃¤rken5. Risikobehaftete Arbeitskonstellationen sind eine unzureichende Vollst߃¤ndigkeit der Aufgaben, mangelnde Vielfalt der Anforderungen, geringe Autonomie, fehlende M߃¶glichkeiten der unterst߃¼tzenden Kooperation, widerspr߃¼chliche Auftr߃¤ge ohne individuelle L߃¶sungsm߃¶glichkeiten, Zeitdruck und qualitative ߃œberforderung6.
Der enge Zusammenhang zwischen subjektivem Erleben der Arbeit und der Arbeitsumgebung durch die Mitarbeiter und ߃¶konomischen, f߃¼r das Wohlergehen des Unternehmens relevanten Ma߃Ÿen wird eindringlich in den Zahlen der Abb. 2 dargestellt.
An modernen Arbeitspl߃¤tzen, die aufgrund ihres Potenzials an gesundheitsgef߃¤hrdenden Arbeitsumst߃¤nden einer genauen Beobachtung bed߃¼rfen, stellt Ulich die Call-Center-T߃¤tigkeit und die Teleheimarbeit vor.

ߢ”‚¬Å¾Faustregelnߢ”‚¬Å“ f߃¼r die Gestaltung von Call Center-T߃¤tigkeiten8
Der Schl߃¼ssel zum Erfolg f߃¼r erfolgreiche Arbeit und gesunde sowie zufriedene Mitarbeiter liegt eindeutig in der Art und Weise, wie die Arbeit im Unternehmen gestaltet ist. Effektiv gestaltete Arbeit im Call Center zeichnet sich aus durch
1. einen Telefonie-Anteil, der nicht ߃¼ber 60 % der Arbeitszeit liegt.
2. gut gestaltete Aufgabenbedingungen: dazu geh߃¶ren z. B. angemessene Arbeitsanforderungen, T߃¤tigkeitsspielr߃¤ume, optimale Leistungs- und Zeitvorgaben, gute Rahmenbedingungen etc. ein gutes Verh߃¤ltnis von Telefonie- und Sachbearbeitungst߃¤tigkeit (Mischarbeit).
3. Mischarbeit sollte Anteile an Inbound-, Outbound- und Back Office-T߃¤tigkeiten sowie Aufgaben mit komplexen und einfachen Anforderungen enthalten.
4. die Partizipation und Mitbestimmung der Agenten bei wichtigen Entscheidungen zur Arbeitst߃¤tigkeit.
5. Qualifizierung und Training der Agenten gleichberechtigt im fachlichen (produkt- und aufgabenbezogen) und sozial-kommunikativen Bereich.
6. ein regelm߃¤߃Ÿiges Kurzpausensystem von durchschnittlich 5 Minuten pro Arbeitsstunde.

Bewertungen der Teleheimarbeit
ߢ”‚¬Å¾Die vielf߃¤ltigen Befunde zu den gesundheitlichen Beschwerden infolge der Teleheimarbeit und der Umgang mit ihnen lassen keine Entwarnung hinsichtlich des AGS zu, im Gegenteil erfordern letztere eine Intensivierung der Forschung und Gestaltung in diesem Bereich ߢ”‚¬Â¦ Auffallend ist, das sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Arbeitszeitvolumen und der Anzahl der gesundheitlichen Beschwerden nachweisen l߃¤sst ߢ”‚¬Â¦ Interessant sind ferner die Relationen zu den jeweiligen T߃¤tigkeitsfeldern ߢ”‚¬Â¦ Z. B. werden Augenbeschwerden vergleichsweise hoch von Teleheimarbeitern im Bereich Konstruktion und CAD, Gereiztheit, innere Unruhe und M߃¼digkeit v.a. von Telearbeitern mit Call Center Aktivit߃¤ten, Kreuzbeschwerden von Teleheimarbeitern mit Sekretariats- und EDV-Aufgaben angegeben. In Anbetracht der Vielzahl von konstatierten Beschwerden stellt sich die Frage, wie die Teleheimarbeiter mit einer beginnenden Krankheit umgehen. Die meisten bitten die Familie um Entlastung und/oder versuchen, die Arbeitszeit auf andere Zeiten zu verlegenߢ”‚¬Å“9.
Anstatt der erhofften optimalen Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienleben und neuer Formen der Rollenteilung werden in zahlreichen F߃¤llen Probleme der Familienregulation und Verfestigung traditioneller Rollenmuster erkennbar. ߢ”‚¬Å¾Die Befunde zur Familienregulation widerlegen mit hoher Evidenz den Mythos der besseren Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf durch THAߢ”‚¬Å“. ߢ”‚¬Å¾Vor allem die weiblichen Telearbeiter mit familialen Verpflichtungen vollf߃¼hren einen permanenten Spagat zwischen Teleheimarbeit und Familieߢ”‚¬Å“9.
Teleheimarbeit f߃¼hrt ߢ”‚¬Å¾nicht nur zur Aufgabe der faktischen, sondern auch zu einer Aufgabe der symbolischen Grenzen zwischen den Lebensbereichen mit all ihren ߢ”‚¬”€œ nicht selten widerspr߃¼chlichen ߢ”‚¬”€œ Implikationen f߃¼r Leistung, Anerkennung, Konkurrenz auf der einen Seite und Entspannung, N߃¤he und Geborgenheit auf der anderen Seiteߢ”‚¬Å“10. Damit besteht die ߢ”‚¬Å¾Gefahr einer Verfl߃¼ssigung der Grenzen zwischen Arbeit und Familie/Freizeitߢ”‚¬Å“11 .

Problematische Aspekte in der aktuellen Arbeitslandschaft sind au߃Ÿerdem der Pr߃¤sentismus und der Umgang mit der ߃¤lteren Arbeitnehmerschaft.

Pr߃¤sentismus
Immer h߃¤ufiger berichten Unternehmen nicht mehr ߃¼ber Abwesenheitsquoten und Krankenstand, sondern ߃¼ber Anwesenheitsquoten und geben diese als Gesundheitsstand aus.
Dass gerade heutzutage Anwesenheit am Arbeitsplatz keineswegs in jedem Fall mit Gesundheit gleichzusetzen ist, ist indes offensichtlich.
Neuerdings wird mehrfach darauf hingewiesen, dass der sogenannte ߢ”‚¬Å¾Pr߃¤sentismusߢ”‚¬Å“, das heisst die Anwesenheit trotz fehlender Gesundheit, auch mit nachteiligen Folgen f߃¼r die Produktivit߃¤t verbunden sein kann. Die dazu vorliegenden Analysen weisen, bei aller vorhandenen methodischen Schwierigkeit, darauf hin, dass die Produktivit߃¤tsverluste auf Grund von Anwesenheit trotz fehlender Gesundheit deutlich h߃¶her ausfallen k߃¶nnen als Produktivit߃¤tsverluste aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit.

Biologisches und menschgemachtes Altern
ߢ”‚¬Å¾Von dem derzeit wenig beeinflussbaren endogen, d. h. genetisch und somatisch bedingten Altern muss das menschgemachte, darunter das arbeitsinduzierte Altern mit seiner Abh߃¤ngigkeit von exogenen Faktoren unterschieden werden. Die Lebens- und die Arbeitsbedingungen k߃¶nnen das Altern beschleunigen (man kann vor-altern) oder im Idealfall auch verz߃¶gern12.
G߃¤ngige altersdiskriminierende Verhaltensweisen sind13
1. eine altersselektive Personaleinstellungs- und -rekrutierungspolitik;
2. alterssegmentierte Aufgabenzuweisungen ߢ”‚¬”€œ mit der h߃¤ufigen Folge der Reduzierung ihrer praktischen Einsetzbarkeit;
3. unterdurchschnittliche Beteiligung bei betrieblich organisierter Fort- und Weiterbildung;
4. Benachteiligung bei betrieblichen Aufstiegsprozessen;
5. Geringsch߃¤tzung ihres Erfahrungswissens sowie
6. kurzfristige Kalk߃¼le bei Personalentscheidungen zu Lasten ߃¤lterer Belegschaftsmitglieder.

So kam Ulich zum Abschluss des Vortrags zu folgenden Thesen:
Thesen zum Gesundheitsmanagement14
Obwohl sachlogisch die personbezogene Orientierung der bedingungsbezogenen Orientierung nachgeordnet ist, wird in der Praxis die Bedeutung gesundheitsf߃¶rdernder Arbeitsgestaltung kaum erkannt.
1. ߢ”‚¬Å¾Moderneߢ”‚¬Å“ Organisationskonzepte wie Lean Management, Downsizing, Outsourcing etc. haben das Entstehen von Stress und die Wirkung von Gratifikationskrisen massiv verst߃¤rkt.
2. Gesundheitsmanagement ist Teil des Unternehmensmanagements und geh߃¶rt deshalb zum Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung.
Die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsf߃¶rderung ߃¤u߃Ÿert sich auch in der Bewertung der Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-B߃¶ckler-Stiftung
Unternehmensbewertung: ߢ”‚¬Å¾Die Kommission empfiehlt, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitspolitik verst߃¤rkt in die Unternehmensbewertungen einzubeziehen. Dies gilt insbesondere f߃¼r Banken und Rating-Agenturen und mit Blick auf die Neuformulierung der Richtlinien f߃¼r die Kreditvergabe (Basel II), soweit die f߃¼r die Unternehmensbewertung ma߃Ÿgeblichen Faktoren messbar sindߢ”‚¬Å“15.

Literatur zu E. Ulich:
1. World Health Organization. Kopenhagen Konferenz 1991

2. Nefiodow L. Der sechste Kondratieff
(4. Auflage). Sankt Augustin: Rhein-Sieg, 2000

3. Kondratieff N. Die langen Wellen der Konjunktur. Archiv f߃¼r Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1926; 56: 573ߢ”‚¬”€œ609

4. Levi L. W߃¼rze des Lebens oder Gifthauch des Todes? Magazin Ausgabe 5 ߢ”‚¬”€œ Stress lass nach. Bilbao: Europ߃¤ische Agentur f߃¼r Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, 2002

5. Ulich E. Arbeitspsychologie. 5. vollst. ߃¼berarb. und erw. Auflage. Z߃¼rich: vdf Hochschulverlag. Stuttgart: Sch߃¤ffer-P߃¶schel, 2001

6. Hacker W, Schroda F, Riemer S, Ishig A. Forschungsprojekt Gesundheitsf߃¶rdernde Arbeitsprozessgestaltung. Projektberichte, Heft. Dresden: Institut f߃¼r Allgemeine Psychologie, Biopsychologie und Methoden der Psychologie der Technischen Universit߃¤t Dresden, 2000

7. Degener M. Unternehmenserfolg und soziale Verantwortung. Frankfurt/M. Peter Lang, 2004

8. Wieland R, Metz A-M, Richter P. Call Center auf dem arbeitspsychologischen Pr߃¼fstand, Teil 2: Arbeitsgestaltung, Belastung, Beanspruchung und Ressourcen. Hamburg: Verwaltungsberufsgenossenschaft, 2002.

9. Treier M. Zu Belastungs- und Beanspruchungsmomenten der Teleheimarbeit unter besonderer Ber߃¼cksichtigung der Selbst- und Familienregulation. Hamburg: Kovac, 2001

10. B߃¼ssing A. Telearbeit. In: Graf Hoyos C, Frey D (Hrsg.). Arbeits- und Organisationspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1999

11. B߃¼ssing A, Broome P. Telearbeit. Zeitflexibel in die Informationsgesellschaft. In: B߃¼ssing A, Seifert H. Die ߢ”‚¬Å¾Stechuhrߢ”‚¬Å“ hat ausgedient. Berlin: edition sigma, 1999

12. Hacker W. Leistungs- und Lernf߃¤higkeit ߃¤lterer Menschen. In: v. Cranach M, Schneider H-D, Winkler R, Ulich E (Hrsg.). ߃”€žltere Menschen im Unternehmen. Chancen, Risiken, Modelle. Bern: Haupt, 2004

13. Naegele G. Verrentungspolitik und Herausforderungen des demographischen Wandels in der Arbeitswelt. Das Beispiel Deutschland. In: v. Cranach M, Schneider H-D, Winkler R, Ulich E (Hrsg.). ߃”€žltere Menschen im Unternehmen. Chancen, Risiken, Modelle. Bern: Haupt, 2004

14. Ulich E. Betriebliche Gesundheitsf߃¶rderung: Beitrag zum qualitativen Wachstum. Vortrag an der Nationalen Gesundheitstagung ߢ”‚¬Å¾Arbeitsbedingungen und Gesundheitߢ”‚¬Å“ (Aarau 18.9.) 2003

15. Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-B߃¶ckler-Stiftung. Zukunftsf߃¤hige betriebliche Gesundheitspolitik. G߃¼tersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2004

Detlev Jung

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